Petra Marsico
Physiotherapeutin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kinder-Reha Schweiz
Studienleiterin SAKENT I ASEND
Wie stark hängt das Gehen bei Kindern mit Cerebralparese (CP) von Aufmerksamkeit und kognitiven Ressourcen ab? Dieser Frage untersuchte eine Studie, die den Einfluss gleichzeitiger motorischer und kognitiver Aufgaben auf die Gangsicherheit analysierte.1
Insgesamt nahmen 61 Kinder, davon 18 mit unilateraler, 12 mit bilateraler CP sowie 31 typisch entwickelte Kinder, teil. Sie führten dreiverschiedene Gehaufgaben durch: einmal frei, einmal mit einem Tablett in den Händen (als motorische Doppelaufgabe) und einmal mit einer zusätzlichen Sprachaufgabe (als kognitive Doppelaufgabe). Mit Bewegungssensoren wurden Gangparameter wie Schrittdauer, Variabilität und die sogenannte Gangkomplexitätanalysiert.1 Dabei zeigte sich, dass Kinder mit CPin allen Bedingungen eine höhere Gangkomplexität als die Kinder der Kontrollgruppeaufwiesen. Dies wies auf eine geringere Stabilität beim Gehen hin. Besonders ausgeprägt war dies bei der kognitiven Doppelaufgabe und bei Kindern mit bilateraler CP. Auffällig war, dass die mittlere Schrittdauer und das Tempo in allen Gruppen vergleichbar blieben, jedoch wurde die Bewegung unregelmässiger. Die Studie macht deutlich, dass das Gehen bei Kindern mit CP nicht „automatisch“ abläuft, sondern kognitive Ressourcen beansprucht. Die doppelte Beanspruchung(dual-task) erhöhte die Instabilität, besonders bei komplexeren Aufgaben wie Sprechen während des Gehens.1
Ein weiterer erschwerender Faktor ist die veränderte Verarbeitung somatosensorischer Informationen bei CP oder anderen Hirnschädigungen. Das somatosensorische System liefert wichtige Informationen zur taktilen Wahrnehmung und Propriozeption, die uns bei der Bewegungskontrolle ermöglichen. Bei CP funktioniert diese automatische Rückmeldung oft nicht zuverlässig oder nur eingeschränkt. Eine Studie dokumentierte Veränderungen in den Nervenbahnen, die sowohl motorische als auch sensorische Systeme betreffen. Je stärker diese Bahnen geschädigt waren, desto ausgeprägter zeigte sich die motorischeBeeinträchtigung.2 Wenn die sensorische Rückmeldung gestört ist, können Kinder sich weniger auf ihre Körperwahrnehmung verlassen, was die Stabilität beim Gehen zusätzlich reduziert. Es fällt ihnen schwerer, Bewegungen zu korrigieren oder auf Veränderungen zu reagieren, was zu erhöhter Muskelspannung und Unsicherheit führen kann.3
Allerdings lässt sich nicht leicht bestimmen, welche somatosensorischen Aspekte tatsächlich mit Gang und Gleichgewicht zusammenhängen. Eine unserer Studien zeigte, dass das feine Spüren an der Fusssohle, also die taktile Empfindung, nicht mit der motorischen Funktion verknüpft war. Nur ein spezieller Test zur Körperwahrnehmung, bei dem Kinder berührte Punkte an der Fusssohle ohne Hinsehen auf einer Fussabbildung lokalisieren mussten, zeigte eine moderate bis starke Beziehung zur Gangfunktion.4 Das deutet darauf hin, dass nicht jeder Aspekt der somatosensorischen Funktionen gleich relevant ist, sondern besonders die Fähigkeit, den eigenen Körper im Raum einzuordnen. Eine differenzierte und individuelle Analyse ist deshalb besonders wichtig.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kommunikation. Kinder, die unterstützt kommunizieren, etwa mit Gebärden oder einem Kommunikationsgerät, stehen vor einer besonderen Herausforderung. Sie müssen gleichzeitig gehen, eine zusätzliche motorische Aufgabe bewältigen – wie etwa das Gebärden – und kognitiv zuhören und formulieren. Das ergibt eine komplexe „trial task“.Deshalb müssen sie häufig stehenbleiben, wenn sie etwas sagen wollen. Ist euch das auch schon aufgefallen? Vielleicht macht ihr als Therapeut*innen in solchen Momenten ebenfalls eine kurze Pause, um dem Kind zuzuhören – oder ihr übt genau solche Situationen gezielt, damit das Kind lernt, wie Kommunikation und Bewegung im Alltag besser koordiniert werden können.
Quellenangaben
Referenzen: