Kolumne
Schmerz und UK

Schmerz und UK

Eva Stephan

Schule für Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderungen, Zürich

Logopädin MAS NDT

Sagen, wenn etwas wehtut: Schmerzen und Unterstützte Kommunikation

Niemand möchte Schmerzen haben. Eltern möchten nicht, dass ihr Kind leidet. «Wir möchten gerne, dass unser Kind seine Schmerzen mitteilen kann, damit wir ihm helfen können» ist ein Wunsch, der häufig von Eltern geäussert wird.

In der Kolumne 24 wurde über Schmerzen in der Physiotherapie berichtet. Doch was ist mit den alltäglichen Schmerzen? Menschen mit einer Cerebralparese sind häufiger als andere Bevölkerungsgruppen von Schmerzen betroffen. Die Quellen des Schmerzes sind vielfältig: Muskuloskelettale Schmerzen aufgrund Skoliose, Luxationen/Kontrakturen oder gastrointestinale Schmerzen, beispielsweise durch schwere Obstipation oder Speiseröhrenentzündungen.1,2 Menschen mit einer schweren Behinderung sind medizinisch-pflegerischen Massnahmen (z.B. absaugen, katheterisieren, Blutentnahmen) ausgesetzt und erleben häufiger Operationen und Spitalaufenthalte.

Wie können Menschen mit einer schweren Behinderung ihre Schmerzen kommunizieren? Die Selbstauskunft hat einen hohen Stellenwert in der Kommunikation von Schmerz. Es gibt verschiedene Assessments wie Smiley-Schmerzskalen, Blicktafeln oder die Kommunikation mit Hilfe von Objekten. Eine Puppe oder eine Holzfigur kann hilfreich sein, um über den Schmerzort ins Gespräch zu kommen. Die Körperteile zu benennen ist allerdings für viele Menschen mit einer Cerebralparese nicht einfach. Therapeutische Massnahmen, die den Aufbau des Körperschemas und den Wortschatzaufbau im semantischen Feld «Körper» zum Ziel haben, können von jeder Disziplin durchgeführt werden – man denke an die gute alte «Körperbegrüssung» zur Tonusregulation, die diese beiden Aspekte berücksichtigt.

Dazu kommt die Schwierigkeit, Schmerz überhaupt lokalisieren zu können. In einer Elternbefragung gaben erstaunlich viele Eltern – fast 40% - an, ihr Kind zeige wenig Schmerzempfindlichkeit.3 Selbst offensichtliche lokale Schmerzen, z.B. durch Fremdkörpereinwirkung oder entzündete Stellen werden nicht immer von den Kindern angezeigt. Fremdbeobachtung ist infolgedessen ein ebenso wichtiger Pfeiler, damit Schmerzen erkannt werden können.2 Eltern beschreiben generelle Kommunikationsformen wie Mimik, Tonus, Lautieren, Weinen oder Jammern. Auch ungewöhnliche Mitteilungsformen wie Ziehen an den Haaren des Gegenübers oder auto-aggressives Verhalten wie mit dem Kopf auf den Tisch schlagen oder sich selber beissen können auf Schmerzen hinweisen und als Hilferuf interpretiert werden.4 Die EDAAP-Schmerzskala versucht mögliche Schmerzzeichen systematisch zu erfassen, die von den Bezugspersonen «wie Hieroglyphen entschlüsselt werden müssen».4, S.2 Die Beobachtung und Evaluation wird zu verschiedenen Zeitpunkten wiederholt und kann wertvolle Hinweise liefern, ob eine Schmerzmedikation nötig ist. Engen Bezugspersonen gelingt es oft leichter, diese «Hieroglyphen» zu lesen – umso wichtiger, dass die Beobachtungen geteilt werden. Nur so können andere Bezugspersonen wissen, wie Schmerzzeichen bei Person XY aussehen. In einem Kommunikationspass, der Menschen mit einer schweren Behinderung in eine Klinik oder in ein neues Umfeld begleitet, müssen diese Zei-chen beschrieben werden.

Eine tracheotomierte Patientin erzählt: «In der Klinik bin ich absolut auf die Kommunikation per Tablet angewiesen. Leider ist es mir schon passiert, dass mein Tablet zwar bei mir war, aber niemand verstanden hat, dass man es mir zum Kommunizieren bereitstellen muss.»5, S.14 Hilfsmittel der Unterstützten Kommunikation wie Kommunikationstafeln oder Tablets sind eben nur wirksam, wenn sie auch zur Verfügung stehen. Aufklärungsarbeit bei anderen Berufsgruppen, beispielsweise Pflegenden, ist deshalb ein weiterer wichtiger Pfeiler, damit die Kommunikation über Schmerz gelingen kann.

Quellenangaben

  1. Raiter, A., Burkitt, C., Merbler, A., Lykken, L. & Symons, F. (2021). Caregiver-reported Pain Management Practices for Individuals with Cerebral Palsy. Archives of Rehabilitation Research and Clinical Translation. 3:100105.
  2. Schlichting, H. Nüsslein, F. & Fichtmair, M. (2018). Unterstützung bei der Kommunikation von Schmerzen bei Menschen mit geistiger und schwerer Behinderung. Unterstützte Kommunikation. 2: 6-14.
  3. Schäfer, K. & Schmidt-Pfister, D. (2018). Vom Rätselraten, Vermuten und Nachfragen. Unterstützte Kommunikation. 2: 20-25.
  4. Belot, M. (2009). Bogen zur Evaluation von Schmerzzeichen bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Mehrfachbehinderung – die EDAAP-Skala. Leben-pur Schmerz. Selbstbestimmtes Leben. Retrieved June 4, 2022 from https://www.stiftung-leben-pur.de/fileadmin/Webdata/Uploads/PDFs_DOCs/edaap-skala-2010.pdf
  5. Motz, P. (2018). Schmerzen kommunizieren. Unterstützte Kommunikation. 2: 14.
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